Kann die Wirtschaft unendlich wachsen?
Milan Koschmieder 15.12.2025 Investment
Die Frage des unbegrenzten Wachstums beschäftigt die Menschheit seit vielen Jahren. Wie soll die Wirtschaft unendlich wachsen, wenn wir auf einem Planeten mit endlichen Ressourcen leben?
Um diese Frage zu beantworten, hilft ein Blick auf die wissenschaftliche Wachstumsformel nach Solow und Swan. Danach hängt das Wirtschaftswachstum einer Volkswirtschaft vom realen Kapitalbestand ab – also von Maschinen, Gebäuden, Infrastruktur und Wissen, die zur Produktion nötig sind. Dieser Kapitalbestand kann nur durch Investitionen wachsen, die aus Erspartem oder Krediten finanziert werden. Gleichzeitig sinkt er durch Abschreibungen und Verschleiß.
Man kann sich das wie eine Badewanne vorstellen: Oben fließt Wasser hinein (Investitionen), unten rinnt es durch den Abfluss (Abschreibungen) wieder heraus. Je voller die Wanne, desto größer der Druck auf den Abfluss – bis ein Gleichgewicht erreicht ist, bei dem genauso viel Wasser abfließt, wie nachfließt. Dies ist der sogenannte Steady State, in dem kein weiteres Wachstum stattfindet.
Wird jedoch die gesamtwirtschaftliche Sparquote oder Schuldenaufnahme erhöht, lässt sich die Investitionsgeschwindigkeit steigern, wodurch auch über den Steady State hinaus Wachstum möglich bleibt. Daneben wirken zwei weitere Faktoren: Bevölkerungswachstum und technologischer Fortschritt.
Wächst die Bevölkerung, entstehen mehr Arbeitskräfte und Konsumenten. Es müssen zusätzliche Güter und Dienstleistungen bereitgestellt werden – mehr Mahlzeiten, Autos, Wohnungen, Arbeitsplätze usw. Dadurch steigt der Realkapitalbestand.
Ebenso führt technologischer Fortschritt zu mehr Produktivität: Wenn ein Bäcker dank eines modernen Ofens in der gleichen Zeit doppelt so viele Brote backen kann, erhöht sich die Produktion, der Kapitalbestand wächst, und damit auch die gesamte Wirtschaftsleistung.
Wirtschaftswachstum bedeutet also, dass der Realkapitalstock einer Volkswirtschaft zunimmt. Wie stark das Wachstum ausfällt, hängt von Spar- und Schuldenverhalten, Bevölkerungsentwicklung und technologischem Fortschritt ab. Wachstum ist also möglich – und solange die Bevölkerung weiter zunimmt, auch notwendig. Zwar ist unbegrenztes Bevölkerungswachstum ausgeschlossen, doch für die kommenden Jahrzehnte wird es in vielen Regionen noch gegeben sein.
Die Grenzen des technologischen Fortschritts hingegen werden häufig unterschätzt – kaum jemand in den 1960er-Jahren hätte sich heutige Smartphones vorstellen können. Ebenso sind auch künftige Innovationen schwer vorhersehbar.
Warum Schulden nicht zwingend nötig sind
Investitionen sind die Grundlage für einen wachsenden Kapitalbestand und können sowohl durch Ersparnisse als auch durch Schulden finanziert werden. Theoretisch würde also eine Finanzierung rein über Erspartes ausreichen.
Erspartes repräsentiert einen Wert, der gegen Güter eingetauscht werden kann – direkt (z. B. Brot gegen Fisch) oder indirekt über Geld, das den Tausch vereinfacht.
Wächst die Wirtschaft jedoch, muss auch die Geldmenge zunehmen, um den höheren Wertumfang abzubilden.
Ein einfaches Beispiel: In einem Dorf leben ein Bäcker, ein Fischer und ein Handwerker – es gibt drei Taler im Umlauf. Nun zieht ein Wagenbauer hinzu, der ein aufwendiges Gut im Wert von vier Talern produziert. Solange nur drei Taler existieren, kann niemand den Wagen bezahlen, ohne dass die Preise der anderen Güter sinken. Damit Preise stabil bleiben, braucht es also zusätzliches Geld im Umlauf.
Übertragen auf heutige Volkswirtschaften bedeutet das: Wenn die Wirtschaft wächst, muss auch die Geldmenge steigen. Neues Geld gelangt in den Kreislauf entweder durch Geldschöpfung der Zentralbank oder durch Kreditvergabe der Geschäftsbanken. Diese verleihen Kundeneinlagen weiter, wodurch Geld mehrfach im Umlauf zirkuliert. Zentralbanken begrenzen diesen Prozess, indem sie Mindestreserven vorschreiben – eine unendliche Geldvermehrung ist also nicht möglich, eine Vervielfachung jedoch schon.
Folgen einer übermäßigen Geldmenge
Wächst die Geldmenge im gleichen Maß wie die Wirtschaftsleistung, bleiben Preise stabil – es entsteht weder Inflation noch Deflation.
Wird jedoch zu viel Geld in Umlauf gebracht, übersteigt die Nachfrage das Angebot verfügbarer Güter. Preise steigen – Inflationentsteht.
Inflation führt einerseits dazu, dass Löhne steigen müssen, um die Kaufkraft zu erhalten, andererseits sinkt der reale Wert von Schulden, was die Rückzahlung erleichtert.
Deshalb steuern Zentralbanken die Geldmenge so, dass eine moderate Inflation entsteht – sie gilt als wachstumsfördernd und stabilisiert den Arbeitsmarkt. Deflation dagegen wäre gefährlich: Sie schwächt Investitionen, senkt die Nachfrage und kann zu einer Abwärtsspirale aus Schuldenabbau und Wirtschaftsrückgang führen.
Fazit
Schulden sind nicht grundsätzlich schlecht. In einem gesunden Maß fördern sie Investitionen, erhöhen die Geldmenge und unterstützen das Wirtschaftswachstum. Problematisch wird es erst, wenn eine Volkswirtschaft nicht mehr glaubhaft zeigen kann, dass sie Zinsen und Tilgungen bedienen kann – dann bricht das Vertrauen zusammen, und eine Wirtschaftskrise droht.
Die Zusammenhänge zwischen Wachstum, Kapital, Geldmenge und Vertrauen zu verstehen und regelmäßig zu prüfen, wie verschiedene Volkswirtschaften aufgestellt sind, ist essenziell – insbesondere für Finanzberaterinnen und -berater. Nur wer die ökonomischen Mechanismen hinter den Märkten versteht, kann fundierte Investitionsentscheidungen treffen.











